Verein
05.08.16

„Einfach immer Gas geben“

Erst einmal, erzählt Luca, sei es schon ein komisches Gefühl gewesen. Plötzlich ging es zum Training nicht mehr an die Säbenerstraße in München, sondern in den Sportpark Unterhaching. Es ist ein Weg, den viele schon gegangen sind, die SpVgg galt lange als eine Art Netz, das die aufgefangen hat, deren Träume geplatzt sind von der großen Fußball-Karriere beim FC Bayern. Haching war damals nicht mehr als ein kleiner Trost und letzter Strohhalm. „Inzwischen hat sich das geändert“, denn bald hat Luca den kleinen Schritt zurück als Chance empfunden, einen großen nach vorne zu machen.

Für Luca Marseiler war es ohnehin eine Art Heimkehr. Die Familie lebt in Unterhaching, nicht weit entfernt vom Sportpark. Der Vater hat als Jugendlicher für die SpVgg gespielt, Yanis, der jüngere Bruder, ist schon vor Luca von den Bayern zu Haching gewechselt. Luca, der mittlere der drei Marseiler-Brüder, wusste also, was ihn erwartet. Und dass sich neue Türen öffnen können, wenn sich eine geschlossen hat. Inzwischen ist er über die U17 und U19 in der Hachinger Profimannschaft angelangt.

Die Marseilers sind eine Familie, in der sich (fast) alles um Fußball dreht. „Die Kinder hatten ja gar keine andere Chance, als Fußballer zu werden“, sagt Vater Michael Marseiler und grinst. Er selbst hat nach seiner Zeit bei der SpVgg noch ein paar Jahre im höheren Amateurbereich gespielt, seine aktive Laufbahn aber beendet, als die Kinder kamen. Später ist er als Trainer zurückgekehrt, nachdem Marcel, der Älteste, Luca und Yanis am damaligen Wohnort der Familie in Taufkirchen zu kicken begannen. Natürlich war auch die Mama immer irgendwie dabei, heute hilft sie noch im VIP-Haus der SpVgg. Schließlich war Fußball immer das Thema Nummer eins, schon seit frühester Jugend haben die Buben gespielt, wann immer es nur ging, auf der Wiese mit Freunden, im Verein. „Sie sind richtige Straßenfußballer“, sagt der Vater.

2008 sind Luca und Yanis Hermann Hummels aufgefallen. Der damalige Scout des FC Bayern hat dann gleich den Vater auch noch mitverpflichtet, „ich war als Co-Trainer im Kleinfeldbereich dabei“. Während Yanis den Nachwuchs des Rekordmeisters schon nach der E-Jugend wieder verließ, durchlief Luca die Mannschaften bis zur U16. Sein Handicap: Er war immer ein bisschen klein. Zwar würden die Bayern von sich sagen, gerade die kleinen und wendigen, technisch starken Spieler zu fördern, so der Vater, in der U16 aber wurden die Einsatzzeiten für Luca immer weniger. Michael Marseiler wusste früh, dass es wohl kein weiteres Jahr für seinen Sohn bei den Bayern geben würde, „im Winter aber wollte man ihn nicht gehen lassen, er sei ein Perspektivspieler, hieß es da noch“. Die Perspektive aber hieß schließlich Unterhaching. Und der Vater gab ihm den Rat mit auf den Weg, „einfach weiterhin immer Gas“ zu geben, darauf komme es an, nicht auf den Namen des Vereins.

Auch für Yanis, eineinhalb Jahre jünger als Luca, war damals der Abschied von Bayern nicht leicht gewesen, „eine tolle Zeit“ sei das gewesen, mit Turnieren auf Mallorca und in Sevilla. „Als ich gehen musste, war das nicht schön, aber als Junger sieht man das noch ein bisschen anders.“ In Unterhaching hat er sich schnell eingelebt, er kannte den Verein, einige der Spieler. „Auch dort hat es mir gleich super gefallen.“ So war dann auch für Luca klar, wohin die Reise gehen sollte: „Klar, wenn man den Sportpark direkt vor der Haustüre hat.“ Die Qualität in der Trainingsarbeit, das wusste er, „ist enorm gestiegen“, schon bald durfte er auch bei den „Großen“ mitmachen, „das ist viel wert“.

Im Sommer 2015, im ersten Saisonspiel, hat er sein Regionalliga-Debüt gefeiert, obwohl noch A-Junior, wurde er gegen den FC Ingolstadt II in der 77. Minute für Alex Piller eingewechselt, neun Minuten später hatte er das 2:2 für die in Unterzahl spielenden Hachinger vorbereitet. Seither sind mehr als 20 Regionalliga-Spiele dazugekommen, als besondere Highlights noch die Einsätze im DFB-Pokal, elf Minuten gegen den FC Ingolstadt, 25 gegen RB Leipzig und auch noch eine gegen Bayer Leverkusen. „Ein geiles Gefühl“, schwärmt er noch heute, „viele Freunde haben mich im Fernsehen gesehen und mir gleich SMS geschrieben. So ein Erlebnis pusht.“

Es sind die Momente, die Yanis noch fehlen auf seinem Weg. Sein Debüt in der Regionalliga war weniger prickelnd als das des Bruders, gegen Memmingen hat er eine Ecke zum 2:2 ins eigene Netz verlängert. Gerade mal 17 ist er gewesen, als er von Trainer Claus Schromm ins kalte Wasser geworfen wurde: „Nervös war ich schon ein bisschen, habe mich aber auch riesig gefreut, gegen Leute spielen zu dürfen, die doppelt so alt sind wie ich und unheimlich viel Erfahrung haben.“ Auch wenn das Eigentor bitter gewesen ist, Yanis konnte viel mitnehmen aus diesem Erlebnis, schon im zweiten Einsatz gegen den 1. FC Nürnberg II „bin ich viel besser zurecht gekommen.“

Yanis steht wie auch Luca erst am Anfang eines langen Weges. Beide wollen ihn nun konsequent weiter gehen, eine Profikarriere ist das große Ziel, darauf fixiert aber sind sie nicht. Luca hat vor einem Jahr, Yanis in diesem Sommer am Gymnasium Unterhaching das Abitur geschafft, „nicht ganz einfach“, sagt Luca über den Stress: „Wenn ich nicht Fußball gespielt habe, habe ich gelernt.“ Heute studiert er BWL, Yanis wird nun erst mal ein Freiwilliges Soziales Jahr absolvieren. Natürlich bei der SpVgg Unterhaching, dort warten „Büroarbeit, Hausaufgabenbetreuung, aber auch Mithilfe beim LSK-Training und im Kids Club“ auf ihn. Und daneben, so oft wie möglich, das Training mit den Profis: „Da will ich möglichst viel mitnehmen“, spielen aber soll er noch ein Jahr in der U19.

Luca hat seit dem Sommer nun auch offiziell den Jugendfußball hinter sich gelassen, will sich möglichst viele Einsätze in der Regionalliga und wieder im Pokal sichern. „Das tolle Erlebnis gegen Ingolstadt, Leipzig und Leverkusen hat uns als Mannschaft weiter zusammengeschweißt.“ Nun aber will man auch in der Liga alles, zumindest die Aufstiegsspiele erreichen und am Ende der Saison wieder zum Drittligisten werden. Damit wären auch die Marseilers ihrem Ziel, Bundesliga-Profi zu werden, wieder ein Stück näher gekommen.

Luca ist seinem Traum inzwischen jedenfalls näher als manch anderer der Kollegen, mit denen er einst beim FC Bayern in der Jugend spielte. Viele jedenfalls sind es nicht, die schon mehr als 20 Regionalligapartien hinter sich haben. Heute kann er sagen: „Letztlich war es die richtige Entscheidung, nach Unterhaching zu gehen.“ Auch wenn sie nicht ganz freiwillig getroffen wurde.

Die Geschichte der Fußball-Familie Marseiler ist jedenfalls noch nicht zu Ende geschrieben. Noch lange nicht.

Reinhard Hübner